Aus der Sicht des Künstleragenten
Gastkommentar von Dr. Germinal Hilbert am 21. April 2013
In mehreren Stellungnahmen auf Facebook, in Interviews und Radiosendungen wurde das Problem der prekären Situation der Künstler im Opernbetrieb bereits ausführlich dargelegt. Als Agent für Künstler, die im Bereich Oper und Konzert tätig sind, möchte ich aus der Sicht des Agenten auch dieses Problem beleuchten.
Es ist durchaus richtig, dass nur wenige Spitzenstars Höchstgagen erhalten, die mit dem Argument gerechtfertigt werden können, dass diese Künstler für das Publikum und den Veranstalter sehr attraktiv sind und durch erhöhte Einnahmen ihre Gagen rechtfertigen. Diese wenigen Ausnahmen sind von der prekären allgemeinen Situation nur teilweise betroffen.
Für alle Künstler, die im Opernbereich tätig sind, gibt es eine nationale und internationale Gagenliste. In dieser Liste sind die jeweiligen Gagen, die ein Sänger oder Dirigent an den verschiedenen Opernhäusern erhält, vermerkt. Auf diese Liste beziehen sich bei den Gagenverhandlungen die einzelnen Opernhäuser und sollen nur in Ausnahmefällen die in der Liste festgesetzte Gage überschreiten. Dies ist eine Kartellabsprache, die in der freien Wirtschaft nicht möglich wäre.
In Deutschland wird für die Proben vor allem bei Neuinszenierungen eine unterschiedliche Probenpauschale gezahlt. Deshalb lagen bis vor einigen Jahren die deutschen Gagen tiefer als die internationalen Auslandsgagen, da nur mit wenigen Ausnahmen im Ausland Probenpauschalen gezahlt werden. Durch die höhere Auslandsgage wurde die entfallende Probenentschädigung kompensiert.
Schon vor Beginn der Finanzkrise, als regelmäßig internationale Budgetbeschränkungen erfolgten, orientierten sich die ausländischen Opernhäuser an der deutschen Gagenliste und zahlen nur noch die niedrigere deutsche Gage ohne Kompensation für die Proben.
Wenn dann, wie von Frau Kulman bereits angesprochen, ein Künstler wegen Indisposition Vorstellungen absagen muss, reicht das verbleibende Einkommen nicht, die entstandenen Unkosten zu decken.
Bis vor einigen Jahren bedurfte die audiovisuelle Verwertung einer Opernvorstellung oder eines Konzertes der Zustimmung des Künstlers durch einen separat verhandelten Vertrag. In den letzten Jahren sind alle Formen der audiovisuellen Verwertung im Engagementvertrag zu Ungunsten des Künstlers festgelegt.
Junge aufstrebende Künstler, die eine internationale Karriere beginnen, erhalten nur nach schwierigen Verhandlungen geringe Erhöhungen der Gage. Im Allgemeinen werden alle Gagen nur wenig erhöht, sodass die Teuerungsrate damit nicht immer abgefangen werden kann.
Diese Verschlechterung für die Künstler wird zu Recht von den Veranstaltern mit drastischen Budgetbeschränkungen begründet. Es ist selbstverständlich, dass bei einer Verminderung des Gesamtbudgets Sparmaßnahmen eingeleitet werden müssen.
Fraglich ist, ob man an der richtigen Stelle spart. Ein Großteil des Publikums besucht Opern und Konzertveranstaltungen nicht nur wegen des Programms, sondern auch wegen der mitwirkenden Künstler. Wenn bei Neuinszenierungen von Opern ein überzeugendes Regiekonzept zur musikalischen Leistung des Abends hinzu kommt, ist das für das Publikum dann auch ein Anreiz, wegen der Regie die Oper zu besuchen, aber in vielen Fällen wird der Unmut des Publikums über die szenische Darbietung lautstark zum Ausdruck gebracht.
Verschiedene Opern mussten wegen der Regie nach kurzer Zeit aus dem Spielplan genommen werden, weil sich die Vorstellungen nicht mehr verkaufen konnten. Da für alle Neuinszenierungen ca. fünf Wochen Proben angesetzt sind, wird die berechtigte Frage gestellt, ob die Produktionskosten gerechtfertigt sind. Zudem wird in vielen Fällen den Sängern nicht gestattet, eine eigene Persönlichkeit in die Darstellung einer Rolle einzubringen, sondern genau die Regieanweisungen zu befolgen, was den Gesamteindruck der künstlerischen Leistung des Sängers beim Publikum herabsetzt und er dann entsprechend beurteilt wird.
Dies führt zu einer psychischen Belastung des Sängers, die sich auch in der Stimme niederschlagen kann. Sänger oder Dirigent zu werden, ist eine Berufung. Dieser Enthusiasmus für einen solch anstrengenden Beruf ist durch derartige Arbeitsbedingungen nicht aufrecht zu erhalten.
Vor vielen Jahren wurde für eine Opernneuproduktion drei bis dreieinhalb Wochen geprobt. Jetzt erstrecken sich die Probenperioden auf bis zu sieben Wochen.
Sind die dadurch entstehenden Mehrkosten wirklich gerechtfertigt? Vom Sänger wird verlangt, dass er seine Rolle zu Probenbeginn einstudiert hat, und in den meisten Fällen haben die Sänger diese Rollen schon an anderen Opernhäusern debütiert und könnten sicher in einer kürzeren Zeit eine neue Interpretation erarbeiten. Auch wird bei der Auswahl der Sänger für eine Produktion in erster Linie berücksichtigt, ob sie der Regievorstellung entsprechen, und die musikalische Qualität ist eher zweitrangig.
Diese Probleme betreffen alle Sänger. Noch viel erschwerender: die Sänger, die in einem Festvertrag an ein Opernhaus gebunden sind und sich den auferlegten Arbeitsbedingungen fügen müssen, da für sie die Gefahr besteht, dass der Festvertrag gekündigt wird. Es wurde bereits von mehreren Seiten ausgeführt, dass die Honorare für diese Sänger sehr gering sind und oft nur dem Existenzminimum entsprechen.
Eine Lösung dieses Problems wird unter den derzeitigen finanziellen Möglichkeiten der Opernhäuser schwer zu erreichen sein, aber durch gezielte Einsparungen könnte man die Künstler vom psychischen Druck entlasten, was sicher der Qualität und damit dem Niveau des Opernhauses zugute käme.
Germinal Hilbert
Dr. Germinal Hilbert ist Gründer und Inhaber der Agenturen „Opéra et Concert“ in Paris und „Hilbert Artists‘ Management“ in München und zählt mit seiner über 40jährigen Erfahrung zu den bedeutendsten Künstlervertretern und Agenten im internationalen Musikbusiness.