Das Zauberwort ist Augenhöhe
Interview von Jürgen Otten mit Elisabeth Kulman für das Magazin „Opernwelt“, Ausgabe Juli 2024
Das Magazin „Opernwelt“ hat mich für seine Juli-Ausgabe interviewt. Übertitelt ist der Beitrag zwar mit dem Namen meines Films (La femme c’est moi), im Gespräch zwischen Chefredakteur Jürgen Otten und mir geht es aber vielmehr um die Krankheit des Opernbusiness. Seit über zehn Jahren weise ich auf Missstände hin. Leider gibt es kaum Verbesserungen, die Entwicklungen gehen eher noch ins Gegenteil. Meine persönlichen Konsequenzen habe ich gezogen, meinen Weg zum Glücklichsein gefunden. Wie ich die Branche heute von außen beobachte, ist im Interview zu lesen.
10. Juli 2024, Elisabeth Kulman
Veröffentlichung des Interviews auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung der „Opernwelt“
«La femme c’est moi»
Nicht erst seit ihrem Abschied von der Opern- und Konzertbühne Ende 2021 ist ELISABETH KULMAN als eine Künstlerin hervorgetreten, die das System stark kritisiert. Schon zuvor übte sie sich als Mahnerin und legte Missstände offen – mit dem Ergebnis, dass sich nichts geändert hat.
Ein Gespräch über künstlichen Mangel, Machtmissbrauch und die zeitlose Magie des Gesangs
Von Jürgen Otten
Frau Kulman, erinnern Sie sich noch an Ihren letzten Bühnenauftritt?
Natürlich! Das war am 19. Dezember 2021 in Bamberg, ein Abend mit den Bamberger Symphonikern unter der Leitung von Jakub Hrůša. Das Haus war wegen Corona nur zu einem Drittel gefüllt. Ich habe ein eigenes Wunschprogramm gesungen und am Ende Mahlers «Wunderhorn»-Lied «Urlicht». Und dann war Schluss.
Sind Sie nun eine gewesene Sängerin?
Ja, es fühlt sich schon ein bisschen so an. Allerdings habe ich noch viele Kontakte zu befreundeten Künstlerinnen und Künstlern, die wissen, was in unserem «Job» schiefgelaufen ist – und nach wie vor schiefläuft. Auch nehme ich weiterhin Anteil an dem, was Sängerinnen und Sänger im Opernbetrieb erleben. Die Missstände, die zu meinem Ausstieg geführt haben, sind ja nach wie vor nicht behoben; viele meiner Kolleginnen und Kollegen sind damit weiterhin konfrontiert. In diesem Sinn fühle ich mich ihnen eng verbunden. Aber ich selbst verspüre überhaupt keine Sehnsucht, wieder auf die Bühne zu gehen. Ich bin wohl immer noch ein bisschen traumatisiert.
Was konkret hat Sie traumatisiert?
Ich bin ein Mensch, der sich sehr genau beobachtet. Wenn ich mir Kolleginnen und Kollegen auf der Bühne ansehe – dies aber meist im Stream, weil ich nur sehr selten in die Oper gehe –, dann spüre ich sofort, wie mein Stresslevel ansteigt. Ich kann mich nicht entspannen, ich weiß ja, was das alles bedeutet. Und damit meine ich nicht das berühmte Lampenfieber – das hatte ich nie. Es geht um das, was vor einer Opernpremiere passiert, in den sechs Wochen Probenzeit. Und das hat mich körperlich, geistig und seelisch so sehr belastet, dass ich mir das nicht mehr zumuten wollte. Und daran hat sich bis heute nichts geändert, zumal mir viele Sängerinnen und Sänger erzählen, dass sie ein Riesenproblem mit dem Betrieb und seinen Usancen haben. Natürlich spürt man das im Publikum nicht, die Schwierigkeiten werden verdrängt. Aber das heißt nicht, dass es sie nicht gibt.
Der berühmte Schein im Sein?
Ja, so könnte man es sagen. Auf Social Media beobachte ich die Künstlerinnen und Künstler, die mir nahestehen, dort werden immer die schönen Sachen gepostet. Wenn diese Menschen aber mit mir persönlich reden, klingt das alles plötzlich ganz anders, dann höre ich das komplette Gegenteil. Und dann frage ich mich: «Bin nur ich so konsequent gewesen? Hat es nur mich so sehr belastet?»
Und wie lautet die Antwort?
Ich bin besonders freiheitsliebend, ich mochte es noch nie, wenn mir jemand etwas erklärte, dem ich nicht zustimmen konnte; damit habe ich wirklich ein Problem. Ich mochte es immer, mit kompetenten Menschen zu arbeiten. Da dies häufig nicht der Fall war, musste ich aussteigen. Ich weiß nicht, wie Kolleginnen und Kollegen damit umgehen. Vielleicht sind sie demütiger als ich und können sich besser unterordnen. Fakt ist: Bei der Premiere strahlen immer alle, aber vorher wird gejammert, was das Zeug hält.
Ist dies nicht das Wesen des Theaters – die Dramen bei den Proben, Zoff zwischen Regie und Graben, Sopranistinnen-Krieg bei einer Doppelbesetzung?
Natürlich kracht es dann. Aber Doppelbesetzungen sind psychologisch auch das Dümmste, was man machen kann. Ich kenne das aus dem Studium und den Anfängen meiner Karriere. Das ist vorprogrammierter Psychoterror!
Ein hartes Wort …
Ja, aber absolut angebracht. Ich habe, wie Sie wissen, den «Fall» Kuhn bei den Tiroler Festspielen in Erl «betreut» und die betroffenen Frauen begleitet bei ihrem Gang an die Öffentlichkeit, bei ihrem Kampf gegen die Unwahrheiten, die dieser Dirigent verbreitet hat. Ganz oft hat er gezielt mit Mehrfachbesetzungen gearbeitet, um Abhängigkeiten zu generieren, Zickenkriege anzuzetteln und sich dadurch persönliche Vorteile zu verschaffen. Und er hat sich daran delektiert. Grundsätzlich wirkt eine ungeklärte Doppelbesetzung fatal, denn eine der beiden Sängerinnen ist garantiert am Ende enttäuscht, weil sie die Premiere nicht singen darf. Ich habe das selbst erlebt. Von Anfang an sollte klar definiert werden, wer wann singt. Damit lassen sich diese unnötigen Probleme vermeiden.
Würden Sie der These zustimmen, dass auf die Risikogesellschaft und die erregte Gesellschaft nun eine besonders perfide Form der Abstiegsgesellschaft gefolgt ist?
Unsere kapitalistische Weltordnung basiert auf dem Prinzip des Mangels. Es wird ein künstlicher Mangel hergestellt, der nur selten real ist. Und dadurch haben viele Menschen das Gefühl, dass sie zu wenig haben.
Wer stellt den Mangel her? Sind es einzelne Personen? Oder ist es doch vielmehr ein systemischer Prozess?
Das ist systemisch. Ein Prozess von Jahrtausenden. Wir kennen es nicht anders. Beschleicht uns nicht alle mal das Gefühl, dass der andere mehr hat? Manchmal fühlt man sich überlegen, aber meistens eben nicht, weil man gern das hätte, was der andere hat. Was jedoch nötig wäre, wäre eine Begegnung auf Augenhöhe. Aber das geht nur, wenn jeder das Gefühl hat, dass er alles hat, was er braucht. Es muss ein Sattheitsgefühl da sein, eine Befriedigung, ein Wohlfühlen. Die Natur ist reich genug, es ist nur eine Frage der richtigen Verteilung. Dort müssten wir hinkommen, nur das könnte Heilung für all die Probleme bringen, über die wir gerade sprechen. Aber davon sind wir Lichtjahre entfernt. Und das wird immer deutlicher sichtbar. An allen Ecken und Enden sieht man Ungleichheit. Diesen Zustand zu verändern, ist eine wirklich große Aufgabe. Dafür ist Bewusstwerdung nötig. Interessanterweise hängt das Gefühl des Mangels ja nicht vom tatsächlichen Status ab. Finanziell reiche Menschen fühlen sich oft sehr leer.
Der kanadische Philosoph Charles Taylor bringt hier den Begriff der «Fülle» ins Spiel. Er glaubt, dass sie unserem durchsäkularisierten Zeitalter, das die Religion mehr und mehr abschafft, abhandengekommen ist. Ist es das, was Sie über die rein ökonomische Seite meinen?
Es betrifft das gesamte Denken und Fühlen. Ich bin sicher, dass wir diese Fülle, unabhängig von dem, was in der Politik passiert, durch Bewusstwerdung erreichen können. Fülle bewirkt Entspannung, Freiheit, Kreativität. Um das zu ermöglichen und auch weil ich wusste, dass ich diese Fülle im herkömmlichen Opernbetrieb nicht finden würde, habe ich ein Zeichen gesetzt und mich nicht nur aus dem «System», sondern komplett aus meinem Beruf ausgeklinkt. Das heißt nicht, dass ich es nicht liebe, kreativ zu sein. Aber eben nicht in diesem Opernbetrieb, der auf falschen Hierarchien gründet. Ich habe mir meine eigene Blase kreiert, die nach meinen Werten gestaltet ist, die mir guttut, und wo Fülle da ist. Das ist wirklich schön.
Warum funktioniert es?
Weil es auf Augenhöhe stattfindet. Das ist das Zauberwort. Aber ich musste auch erst lernen, wie es geht. Es ist ein ständiges Nachjustieren, ein Sich-Bemühen, ein Aufeinander-Zugehen. Die Wellenlängen müssen übereinstimmen, um in Resonanz gehen zu können. Und im Opernbetrieb ist es leider so, dass schon das Setting falsch ist. Man unterschreibt fünf Jahre vorher einen Vertrag für eine Rolle. Und dann kommt man zum Konzeptionsgespräch und denkt sich: «Um Gottes Willen, wo bin ich denn hier hingeraten?»
Haben Sie das häufiger gedacht?
Oh, ja! Und beim letzten Konzeptionsgespräch meiner Laufbahn, 2014, bei Mussorgskis «Chowanschtschina» an der Wiener Staatsoper, bin ich hinterher hinausgegangen und wusste sofort: «Das war’s!» Ich habe die Produktion abgesagt – zum Glück, denn als ich das Ergebnis sah, dachte ich nur: «Gott sei Dank, ich war nicht dabei!» Mir wurde schlagartig klar, dass ich, sollte ich da wirklich sechs Wochen zur Probe gehen und mir Dinge anhören müssen, die komplett gegen meine Ideen und Vorstellungen von dem Stück gingen, würde es mich krankmachen. Deswegen bin ich ausgestiegen.
War dies der berühmte Tropfen?
Vermutlich ja. Denn ich war in einer vulnerablen Situation. Ich kam gerade aus meinem Burnout und war wirklich nicht stabil. Im Jahr zuvor hatte ich die Missstände bei den Salzburger Festspielen öffentlich gemacht. Ich bin eigentlich ein introvertierter Mensch, ich muss nicht ständig in der Öffentlichkeit stehen. Damals war es mir aber wichtig, die offenkundigen Fehlentwicklungen unter der Regentschaft von Intendant Alexander Pereira anzuprangern. Doch schon bald überkam mich das Gefühl, dass die gesamte Kollegenschaft sich an mich dranhängt und mich in die Rolle der heiligen Johanna drängt: «Du rettest uns und die Sache, du löst jetzt alle Probleme.» Dieser psychische Druck lastete zu stark auf mir, zumal ich damals einen extrem eng getakteten Terminkalender hatte. Ein Jahr später bin ich zusammengebrochen. Dann habe ich eine Auszeit genommen, habe mein Leben komplett umgekrempelt und mit der Oper aufgehört. Es folgte ein letzter kreativer Ausbruch mit meinem Soloprogramm «La femme c’est moi», das ich mir auf den Leib geschneidert habe und das gerade als Film erschienen ist. Darin ist alles gesagt, was ich in dieser Disziplin zu sagen habe. Er zeigt meine Welt, meine gelebte Vision vom Musizieren auf Augenhöhe. Mit acht gottbegnadeten Musikern, die mit mir «auf Flügeln des Gesanges gen Himmel fliegen».
Wieso haben nur Sie aufgehört? Warum machen so viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen diese Hamsterrad-Tour immer wieder aufs Neue mit?
Gute Frage. Ich kann sie nur so beantworten: Es gibt immer Menschen, die eine Unwucht früher erkennen. Was ich aber aus vertraulichen Gesprächen weiß, ist, dass selbst sehr prominente Sängerinnen, die ihre Karriere hatten und sich viele Rollen erfüllt haben, sehr am Schwanken sind. Und das ist ein wichtiger Punkt, auch im Hinblick auf Ihre Frage: Man will die Rollen haben, und das verstehe ich auch. «Diese eine Traumrolle noch!» Und dann beißt man sich eben durch, weil es ja auch ein unfassbar schönes Gefühl ist, wenn diese Traumrolle durch die Kehle und den ganzen Körper fließt; das ist einfach ein riesiges körperliches Verlangen, eine große Sehnsucht. Man will das im Körper haben. Ich fürchte, als Nicht-Sängerin kann man nicht nachvollziehen, wie, pardon, geil das ist, wenn der ganze Körper vibriert. Das ist einzigartig und auf anderem Weg nicht zu erreichen.
Haben Sie dergleichen Ekstase erlebt?
Natürlich. Und nicht nur einmal. Das ist gespeichert, das nimmt mir auch niemand weg. Das ist toll, es ist schön. Aber ich muss es nicht repetieren. Ich bin keine Maschine. Ich kann den Zustand jederzeit durch meine Fantasie und mein Körpergedächtnis herstellen – ich habe das in mir gespeichert.
Gerade deswegen aber noch einmal die Frage: Warum sind Sie die einzige renommierte Sängerin, die sich von der Opern- und Konzertbühne verabschiedet hat?
Ich glaube, dass viele auf dem Weg sind und zunehmend in sich hineinhören. Wichtig ist, dass der Abgang würdevoll gerät. Aber es stimmt schon: Manche muss man förmlich von der Bühne herunterprügeln, bevor sie aufhören können. Deswegen rate ich jungen Sängerinnen, sich nicht nur über den Beginn, sondern früh auch schon über das Ende ihrer Karriere Gedanken zu machen. Und ich glaube, so manche meiner Kolleginnen lässt sich von mir diesbezüglich inspirieren.
War das Ihr Impuls, als Sie die Bühne verlassen haben? Anderen ein Signal zu geben?
In erster Linie war es meine persönliche Entscheidung. Aber es ist schön zu sehen, dass es als Impuls für andere Sängerinnen dient, sie zum eigenen Denken zu ermutigen. Es gibt allerdings auch viele Fans, die sich abgewandt haben, die böse sind, dass ich nicht mehr «zur Verfügung stehe». Das habe ich sehr deutlich bei meinem vorletzten Liederabend im Wiener Musikverein zu spüren bekommen, den ich aufgrund der unseligen 2-G-Regel abgesagt habe, einfach deswegen, weil ich nicht singen wollte, wenn ein großer Teil des Publikums wegen dieser Regel zu Hause sitzen muss und das Konzert nicht miterleben kann. Hinterher habe ich sehr viele böse Briefe erhalten, von Menschen, die mir schrieben, sie hätten ein Recht auf meine Stimme, weil sie eine Karte gekauft haben – so, als hätten sie ein Recht auf Besitz. Da fühlt man sich schon sehr als Ware: Wenn sie nicht «funktioniert», gibt’s Ärger und eine miese Bewertung. Das hat mich schon sehr irritiert. Andererseits kann ich natürlich die persönliche Enttäuschung verstehen.
Würden Sie trotzdem im Nachhinein Ihre Karriere als etwas Schönes bezeichnen?
Hm. Der Preis ist sehr hoch. Und man zahlt immer einen. Auch wenn man aussteigt. Die Frage muss lauten: «Was ist es mir wert?» Diese Frage sollte sich jeder selbst stellen. Es gibt Künstlerinnen und Künstler, die in das System hineinpassen. Ich bin eben davon überzeugt, dass das System an sich krank ist. Und dies ist eine Diagnose, die auf meinen Erfahrungen beruht. Oper ist konzipiert als etwas Heiles und Heiliges – Nikolaus Harnoncourt hat immer gesagt: «Die Kunst ist die Nabelschnur zum Göttlichen.» Und er hatte Recht: Kunst ist größer als wir kleinen Geister. Selbst die Komponisten waren nur Erfüller eines höheren Willens.
Ist sie demnach auch eine Art Seelenheilmittel?
Ja, das kann man so sagen. Wir sollten zu dieser ursprünglichen Aufgabe zurückkehren – mit unseren heutigen Mitteln. Wenn wir die ursprüngliche heilende und heilige Kraft wieder freischaufeln wollen, müssen wir zu dieser Essenz zurückkehren. Aber gegenwärtig sehe ich nur Wucherungen von etwas, das da überhaupt nicht hingehört. Diese Wucherungen müssen wir Schicht für Schicht abtragen. Die Pandemie hat uns die Gelegenheit dazu gegeben, es bestand die Möglichkeit der Bewusstseinsschärfung. Aber wir haben nichts daraus gelernt. Nichts hat sich geändert, kaum eine gute Idee ist aufgegriffen worden, wir sind genau in dem gleichen Fahrwasser wie zuvor. Doch die Rechnung wird kommen, es ist nur eine Frage der Zeit, wann dieses kranke System implodiert.
Was konkret muss sich ändern, um das zu verhindern?
Wir müssen bei den Intendanten anfangen. Viel zu häufig sind in Spitzenpositionen Menschen am Werk, die, höflich gesagt, absolut inkompetent sind.
Und wenn Sie es unfreundlich formulieren?
Dann nenne ich diese Damen und Herren narzisstisch bis psychopathisch. Das ist jetzt kein Geheimnis, dazu gibt es wissenschaftliche Studien.
Macht Macht krank?
Natürlich. An der Börse sitzen zu einem hohen Prozentsatz Psychopathen. Und in den Intendantenbüros sitzen auch einige dieser Spezies. Das ist in der Politik genauso fatal wie in der Wirtschaft und in der Kultur. Und ich frage mich: «Was machen die dort?» Diese Menschen sind so sehr von sich geblendet, dass sie nicht einmal erkennen, dass sie inkompetent sind. Manche Intendanten sagen: «Ich kann ein Haus führen, aber ich kenne mich nicht mit Stimmen aus. Ich hole mir einen Casting-Direktor.» Respekt für eine solche Offenheit. Aber oft ist es einfach anders, viele von denen glauben, sie könnten alles. Ärgerlich daran ist, dass kein Korrektiv da ist, das sie aufhält. Im Gegenteil: Die meisten hecheln hinter dem Intendanten her. Es sind die Speichellecker, die das System ermöglichen und fördern. Ein fataler Teufelskreis.
Wie bricht man den auf? Von oben vielleicht?
Gute Idee. Aber dann müssten Sie die ganze Politik ändern, inklusive der bestehenden Seilschaften. In diesem Zusammenhang möchte ich eine Sache festhalten: Ich finde, dass es, um die Essenz des heiligen Werks Oper wiederzuerlangen, dringend nötig ist, dass wir uns wieder verstärkt der Musik zuwenden. Es heißt Musik-Theater. Der Schwerpunkt liegt seit vielen Jahrzehnten zunehmend auf dem Theater. Musik ist immer mehr nur noch zum Anhängsel geworden, mit dem man sich anscheinend nicht groß beschäftigen will. Ich finde, das stimmt nicht, das ist ein Ungleichgewicht. Es muss gleichberechtigt sein. Im Moment haben wir eine Schieflage von sagen wir 90 zu zehn. Und das ist falsch. Wenn auch noch krampfhaft versucht wird, eine Parallelgeschichte zu erzählen, die von der Essenz des eigentlichen Werkes ablenkt, ist das für viele Zuseher nicht mehr nachvollziehbar und ärgerlich. Im besten Fall ist es der vielleicht gut gemeinte, aber verzweifelte Versuch der Regie, das Genre zu retten. Dieser Versuch muss zwangsläufig scheitern, denn er geht in die falsche Richtung. Das Regietheater ist schon lange in einer Sackgasse angekommen. Wir rasen damit dem oft prophezeiten Tod der Oper nur noch schneller entgegen. Es ist eigentlich ganz einfach: Es muss die Balance von 50:50 für Musik und Theater wiederhergestellt werden. So ist die Oper vom Komponisten gedacht und nur in dieser ausgewogenen Mischung entfaltet sie ihre ursprüngliche Heilwirkung, die wir alle so dringend brauchen.
Quelle: https://www.der-theaterverlag.de/opernwelt/aktuelles-heft/artikel/la-femme-cest-moi/